Es war schon ein komisches Gefühl, nach 70 Jahren Glocken zu verabschieden, die in einer schweren Zeit durch die Opferbereitschaft eines ganzen Ortes angeschafft werden konnten. In Gernach hatte man 1908 ein neues Geläute aus vier Bronzeglocken angeschafft, schon damals unter großen finanziellen Opfern. Drei der vier Glocken mussten im Krieg abgegeben werden und wurden eingeschmolzen. Drei Glocken aus Gussstahl wurden 1949 wieder auf den Turm aufgezogen, wiederum unter dem großen Einsatz der Gesamtbevölkerung. Diese sind aufgrund der Materialbeschaffenheit nun von den Sachverständigen verworfen worden.

Drei neue Glocken und die Erneuerung von Geläut und Glockenstuhl, ein Kraftakt von 85.000,-€ muss von der Kirchenstiftung Gernach getragen werden. Wieder sorgen viele Gemeindemitglieder durch Zuwendungen und Spenden für die Finanzierung. Die Gernacher Glockengeschichte liest sich wie ein Kursbuch des Einsatzes der Gläubigen. Für viele GottesdienstteilnehmerInnen kamen deshalb auch beim Gottesdienst zur Verabschiedung der Glocken am 20.10.19 die Tränen hoch. In seinen Impulsen im Gottesdienst gab Pfr. Thomas Amrehn immer wieder Informationen über die Glocken bekannt und erinnerte an ihre Aufgaben. So beginnt die Versammlung der christlichen Gemeinde bereits damit, dass sich die Menschen treffen. Die größte Glocke, seit 1949 dem Hl. Ägidius geweiht, hätte diese Aufgabe übernommen. „Gott ruft sein Volk zusammen...“ sang man denn auch gemeinsam zum Läuten der Glocke. Die Marienglocke habe dreimal am Tag an das Geheimnis der Menschwerdung erinnert und zum Gebet des Angelus eingeladen. So hörte man auch die Glocke und sprach gemeinsam den Mariengruß, aufmerksam begleitet von den anwesenden Kommunionkindern, die im Unterricht von der „Glocke Ben“ und ihren Aufgaben erfahren hatten. Sie unterstützten durch das Läuten der Sakristeiglocke und der Altarschellen das Nachdenken über wichtige Elemente des Gottesdienstes. So läutete Kirchenpfleger Michael Werner auch die dritte Glocke bei der Verkündigung des Evangeliums und des Stiftungsauftrages aus dem Mund Jesu: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ die dritte Glocke. „Immer wenn Jesus zu uns spricht, bezeichnen wir uns mit dem Kreuzzeichen und die Glocken weisen auf die Wichtigkeit seiner Worte hin“ erinnerte Pfr. Amrehn die Drittklässer und die versammelte Gemeinde. Als schließlich die Totenglocke läutete und man gemeinsam für die verstorbenen Stifter und Wohltäter der Glocken von 1908 und 1947 betete, kam manche Träne der Dankbarkeit und der Erinnerung. „Wir wünschen und tun alles, damit wir zum Gernacher Kirchweihfest am 24.11.19 die drei neuen Glocken weihen können und sie zusammen mit der verbleibenden vierten Glocke zum neuen Kirchenjahr aufziehen und läuten können“, gab Pfr. Amrehn am Ende des Gottesdienstes bekannt. Sakristeiglocke, Altarschellen und das letzte Plenumsgeläute erklangen am Ende zum „Te Deum“ als man miteinander den uralten Lobeshymnus der Kirche anstimmte: „alle Tage wollen wir, dich, und deinen Namen preisen und zu allen Zeiten dir Ehre, Lob und Dank erweisen...“. Die Gemeinde hatte die Kommunionkinder im Gegenzug zur abgesagten Teilnahme am Glockenguss eingeladen, die alten Glocken im Turm noch einmal zu sehen. Staub und Dreck konnte man dabei nicht vermeiden. Die Kinder hatten unter sachkundiger Führung des Kirchenpflegers viel Freude am Turmaufstieg. Die Glockenfirma plant übrigens für Montag, 02.12.19 das Aufziehen der neuen Glocken. Bis dorthin muss Stille auf dem Kirchturm herrschen

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